„Der Begriff ‘afrikanische Kunst‘ kann sehr einschränkend sein“
Collector Interview | Joseph Awuah-Darko
Wie stellt man ein kreatives Multitalent in einem Absatz vor? Gestatten, Joseph Awuah-Darko, geboren in London, lebt seit seinem fünften Lebensjahr in Ghana. Dort hat der Künstler, Sammler, Philanthrop und Forbes „30 unter 30“-Auserkorene ein Residency-Programm aufgebaut, unterstützt junge afrikanische Künstler:innen und ist im Umweltschutz aktiv. Ein Gespräch mit dem 26-jährigen Wunderkind über die Notwendigkeit der Diversifizierung der globalen Kunstwelt und die nächste Generation von Sammler:innen.
viennacontemporary: Joseph, Sie sind Umweltaktivist, Künstler und haben nun auch Ihr eigenes Künstlerresidenz- und Museumsprogramm in Ghana aufgebaut – wie kann eine Person das alles schaffen?
Joseph Awuah-Darko: Es stimmt, dass ich bereits viele unterschiedliche Leben gelebt habe. Ich habe als Musiker begonnen, da war ich 19 Jahre alt und wollte mich für alternative Musik in Ghana einsetzen. Das habe ich vielleicht anderthalb Jahre gemacht, aber es lief wirklich gut. Danach habe ich mich mehr auf die akademische Welt konzentriert und mein Studium an der Ashesi University absolviert. Dann habe ich mit dem Climate Innovation Center der Weltbank und der Ford Foundation zusammengearbeitet und die Umweltzerstörung der damals größten Elektroschrottdeponie in Ghana untersucht. Ich habe empirische und ethnografische Untersuchungen über schädliche Krebserreger durchgeführt, die bei der Verbrennung von Kupferdrähten entstehen, und über die Kreislaufwirtschaft von Elektroschrottdeponien.
Und dann kamen Sie von der Mülldeponie zur Kunstwelt…
Das war eigentlich mein Weg in die Kunst: In meiner ersten Ausstellung in der Galerie 1957 in Ghana im Jahr 2019 habe ich Elektronikschrott in einer Art Duchamp’schen Manier upgecycelt. Ich war schon immer ein Sammler und hatte mit Kunst zu tun, aber das war das erste Mal, dass ich selbst Kunst geschaffen habe. Davor hatte ich nur organische Beziehungen zu aufstrebenden Künstlern, wie etwa Gideon Appah.
Aus diesen Freundschaften heraus haben Sie mit dem Sammeln begonnen?
Ja, das war sozusagen die Anfangsphase, in der auch viele Atelierbesuche zu meiner Sammelleidenschaft beitrugen und so diese Freundschaften entstanden. Mich inspiriert die Tatsache, dass es Künstler:innen gibt, die innerhalb einer Subkultur arbeiten und Teil einer breiteren Diskussion über zeitgenössische Kunst sind. Ich hielt es schon damals für wichtig, Künstler:innen als Sammler zu unterstützen – und das nicht nur als Hüter von Werken, die einen Lagerwert und ein Wachstumspotenzial haben.
Welchen Platz nimmt das Sammeln in Ihrem Leben ein? Welche Art von Kunst interessiert Sie?
Sammeln ist mein Leben. Ich interessiere mich sehr für aufstrebende Künstler:innen, die daran arbeiten, dass ihre Stimmen erhört werden. Eine Künstlerin, die mich wirklich begeistert, ist Maku Azu, eine ghanaische Künstlerin aus der Diaspora, die mit ihrem Mann in Thailand gelebt hat, bevor sie nach Ghana zurückkehrte. Für mich geht es beim Sammeln darum, in die Biografien und Geschichten der Künstler:innen zu investieren; es ist eine Art Prozess, der von den Anfängen über Phasen des Fortschritts und des Experimentierens bis hoffentlich hin zur ersten Ausstellung in einer Galerie reicht. Einige Künstler:innen, die zu unserer Residency kommen, werden auch in meine Sammlung aufgenommen, die kürzlich sogar auf Larry’s List vorgestellt wurde.
Ihr Residenzprogramm, die Noldor Residency, die sich in Accra in einem hippen Kunstviertel namens South Labadi befindet, will aufstrebende zeitgenössische Künstler:innen aus der Diaspora und vom Kontinent unterstützen. Wie wählen Sie die Teilnehmer:innen aus?
Das Programm ist ebenso für Künstler:innen, die auf dem Kontinent leben und arbeiten, wie für jene, die den Wunsch haben, für eine gewisse Zeit zurückzukehren. Ich achte auf Geschlechterparität, auf die Galerieprogramme, an denen sie beteiligt sind, auf Langlebigkeit, darauf, ob sie auf dem Kontinent oder in der Diaspora leben, ob sie einen eher akademischen Hintergrund haben oder Autodidakt:innen sind. Alles in allem müssen die Informationen, die dem Auswahlkomittee und mir vorliegen, ein stimmiges Bild ergeben und zeigen, dass die Künstler:innen etwas wirklich Einzigartiges in ihren jeweiligen Disziplinen zu sagen haben – sei es Keramik, Bildhauerei, Tapisserie oder Malerei.
Letztes Jahr hatten wir insgesamt 265 Bewerber:innen und wir haben nur neun ausgewählt. Es handelt sich also um ein wettbewerbsorientiertes Programm mit großem Andrang – das ist natürlich ein Luxusproblem! Das Interesse ist einfach organisch immer weiter angewachsen.
Wie sehen Sie die Entwicklung der afrikanischen Kunst auf dem westlichen Kunstmarkt?
Wenn ich von afrikanischer Kunst spreche, achte ich sehr darauf, dass es sich um Kunst von Künstler:innen handelt, die zufällig aus Afrika stammen. Ansonsten kann der Begriff ziemlich einschränkend sein. Ich habe Freunde, britische oder asiatische Kunstsammler:innen, die sagen: „Natürlich sammle ich zeitgenössische Kunst, aber mit afrikanischer zeitgenössischer Kunst habe ich keine Erfahrung“, und ich sage immer: „Es ist dasselbe! Ob zeitgenössische Kunst aus Europa kommt oder aus Afrika – es ist beides zeitgenössische Kunst“ In ihrer kontextuellen Relevanz ist sie eine Unterkategorie, aber ich glaube nicht, dass afrikanische Kunst im Vergleich zu größeren Diskussionen über zeitgenössische Kunst minderwertig ist. Ich bin sehr gut mit Hannah O’Leary befreundet, der Leiterin der Abteilung für moderne und zeitgenössische afrikanische Kunst bei Sotheby’s, und wir haben uns immer die ironische Frage gestellt, ob es überhaupt eine Abteilung für zeitgenössische afrikanische Kunst geben muss. Ist sie nicht Teil der breiteren Diskussion über den Verkauf zeitgenössischer Kunst?
Finden Sie, dass Gegenwartskunst aus Afrika zunehmend in die globale Diskussion einbezogen wird?
Auf jeden Fall. Wir haben Künstler:innen aus der Diaspora oder afrikanischer Herkunft, wie Gideon Appah oder Joy Labinjo, die auf der Frieze in London ausstellen; Emmanuel Taku, der letztes Jahr mit Maruani Mercier in Brüssel ausstellte… Es gibt diese Normalisierung in der zeitgenössischen Kunst, und wenn ich zeitgenössische Kunst sage, meine ich aufstrebende Künstler:innen, die auf diesen globalen Kunstmessen sehr gleichwertig mit ihren Zeitgenoss:innen aus Deutschland, Mexiko oder anderen Teilen der Welt ausstellen. Es gibt einen riesigen Sammler:innenmarkt in Nigeria, wo Sie auch eine wirklich großartige Kunstmesse namens ART X Lagos haben, die von meiner Freundin Tokini Peterside-Schwebig geleitet wird.
Was ist Ihre Meinung von Initiativen wie der Kunstmesse 1-54, die sich auf zeitgenössische afrikanische Kunst spezialisiert?
Was mit der 1-54 Marrakesch begann, war klein, süß und intim – jetzt ist es zu einem multinationalen Riesen geworden, mit Messen in London und New York. Es ist großartig, dass sie sich bemühen, ein einzigartiges Licht auf die streitbare Neuheit der afrikanischen zeitgenössischen Kunst als globales Phänomen zu werfen. Ich bin sehr gut mit Hannah O’Leary befreundet, der Leiterin der Abteilung für moderne und zeitgenössische afrikanische Kunst bei Sotheby’s, und wir haben uns immer die ironische Frage gestellt, ob es überhaupt eine Abteilung für zeitgenössische afrikanische Kunst geben muss. Ist sie nicht Teil der breiteren Diskussion über den Verkauf zeitgenössischer Kunst? Ich finde, in Anbetracht der Tatsache, dass das Verständnis für zeitgenössische afrikanische Kunst anfangs nicht einheitlich gegeben war, denke ich, dass Messen wie die 1-54 wichtig sind, weil sie für viele Sammler:innen einen Einstieg in einen doch eher jungen Markt bieten – und auch, um sicherzustellen, dass es mehr schwarze und afrikanische Galerist:innen auf einer Messe gibt. Die Balance von Geschlecht und Herkunft von Galerist:innen und Kurator:innen ist ebenso wichtig wie jene von den gezeigten Künstler:innen.
Es stimmt, die Diskussion dreht sich meist um die Herkunft der Künstler:innen, nicht so sehr um die der Galerien.
Es ist wichtig, dass Kunstmessen dafür kämpfen, dass die Notwendigkeit, schwarze Galerist:innen in ihren Ausstellungen zu präsentieren, stärker in den Mittelpunkt gerückt wird. Ich habe gelesen, dass sogar bei der 1-54 ein Ungleichgewicht zwischen schwarzen und weißen Galerist:innen besteht, insbesondere in London.Dabei achten Galerist:innen speziell bei einer Kunstmesse die die Förderung afrikanischer zeitgenössischer Kunstproduzent:innen zum Ziel hat, auf Ausgewogenheit. Ich weiß, dass Kunstmessen im Wesentlichen ein Geschäft sind, und das mag bei der Belegung der Stände eine Rolle spielen, aber es ist wichtig, mehr Verständnis für die Notwendigkeit zu entwickeln, hier zu mehr Vielfalt beizutragen.
Eine weitere Herausforderung für den etablierten Kunstmarkt ist der Aufbau einer neuen Generation von Sammler:innen.
Der Kunstwelt wird vorgeworfen, dass sie sich sehr exklusiv verhält. Aber Galerien machen sich natürlich Gedanken darüber, ob die Käufer:innen ihre Verantwortung verstehen. Viele befreundete große Galerist:innen, wie Adora Mba, die ADA / Contemporary in Ghana leitet, Ron Mandos von der Galerie Ron Mandos in Amsterdam oder Simon Lee, der eine Galerie in London besitzt – sie alle haben mir erzählt, dass sie Sammler:innen bevorzugen, die bereits große Sammlungen aufgebaut haben – eher aus Angst vor Flippern als aus einem elitären Blickwinkel heraus. Ich denke, das liegt daran, dass Sie befürchten, dass Neulinge eher den Markt für ihre Künstler:innen gefährden, indem man sie unbedacht auf dem Sekundärmarkt platziert (lacht), während erfahrene, angesehene Sammler:innen das eher nicht tun würden. Aber den meisten Galerist:innen geht es in der Regel darum, ob die Sammler:innen die Verantwortung des Sammelns verstehen. Und das ist der Unterschied.
Haben Sie Tipps, wie Galerien und Kunstmessen Ihre Generation für sich gewinnen können?
Es ist wichtig zu verstehen, dass es bei der Unterstützung von Künstler:innen darum geht, eine Sammelgemeinschaft aufzubauen – nicht isolierte Sammler:innen. Die Entdeckung von Kunst durch Instagram ist seit Covid sprunghaft angestiegen, speziell bei Leuten zwischen 20 und 40. Sammler:innen, die über die sozialen Medien kommen, sollte man genauso leidenschaftlich begrüßen wie die anderen. Jungen Sammler:innen mangelt es nicht an Visionen. Ich kenne einige beeindruckende asiatische Sammler:innen, speziell in Südkorea, die sehr anspruchsvoll in ihrem Geschmack sind und genau wissen, wie sie ihre Sammlungen aufbauen wollen.
Machen Sie immer noch Kunst?
Ich stelle still und heimlich Wandteppiche her. Eines meiner Werke wird in die ständige Sammlung des Stanley Museum of Arts aufgenommen, und ich habe gerade an einer textilbasierten Gruppenausstellung in der Mindy Solomon Gallery in Miami teilgenommen.
Es ist erstaunlich, wie viel Sie erreicht haben! Was sind Ihre nächsten Pläne?
Das Residenzprogramm Noldor tut derzeit das, was es tun soll, nämlich Künstler:innen dabei zu unterstützen, auf die nächste Karierreebene zu kommen und sie mit Galerien zu vernetzen. Um weiterhin zu wachsen, ist es aber wichtig, langfristig ein größeres Team aufzubauen. Wir wurden in das Institute Museum of Ghana eingeladen und hatten dieses Jahr unsere zweite Museumsausstellung mit Samuel Olayombo, einem Noldor-„Absolventen“. Es war großartig, diese Ausstellungen zu produzieren, aber auch das Museumsprogramm ließe sich noch weiter auszubauen. Dann haben wir seit drei Monaten das Enlighten-Programm, zu dem wir Schüler:innen aus der örtlichen Gemeinde einladen. Seit dem Start haben wir bereits 121 Schüler:innen in unsere Räumlichkeiten eingeladen. Es wäre toll, noch mehr Kinder in der Einrichtung zu sehen.