Viennacontemporary

“Wien zum neuen Zentrum für zeitgenössische Kunst in Europa machen.“

Wir stellen vor: Francesca Gavin, künstlerische Leiterin

Den meisten in der Kunstwelt ist Francesca Gavin ein Begriff. Voller Energie, Neugier und mit fundiertem Fachwissen widmet sich der Wirbelwind aus England ebenso kuratorischen wie journalistischen Projekten. Fortan wird Gavin ihre Energien auf eine neue Herausforderung konzentrieren: die Förderung von Wiens Potenzial auf dem internationalen Parkett der zeitgenössischen Kunst. Wir freuen uns, Ihnen Francesca Gavin vorstellen zu dürfen – Autorin, Kuratorin und, seit diesem Monat, die künstlerische Leiterin von viennacontemporary.


 

 

Willkommen an Bord, wir freuen uns sehr, dich im Team begrüßen zu dürfen. Beginnen wir am Anfang deines beeindruckenden Lebenslaufs. Was hat dein Interesse an der Kunst geweckt?

Ich komme aus einer sehr kreativen Familie. Meine Mutter hat Kunst studiert, meine Schwester arbeitet als Künstlerin. Von klein auf war ich von Kunstbüchern umgeben, und mit neun Jahren habe ich die Kunstpostkartensammlung meiner Mutter geerbt. Zu diesem Zeitpunkt habe ich bereits über ein enzyklopädisches Wissen über Kunstgeschichte verfügt. Das habe ich schließlich auch an der Universität studiert, und hätte ehrlich gesagt nie gedacht, dass ich es jemals anwenden würde. Aber hier bin ich. Angefangen habe ich als Journalistin und mich da hauptsächlich mit Kunst und Kultur im weiteren Sinne beschäftigt. Irgendwann habe ich mich immer stärker auf Kunst konzentriert und wurde gleichzeitig immer wieder eingeladen, zu kuratieren. So gingen das Schreiben über Kunst und das Kuratieren von Ausstellungen eigentlich Hand in Hand.

 

Was ist das schönste am Kuratieren?

Es macht unheimlich viel Spaß. Man interagiert mit Künstler:innen und Galerien und erfährt neue Denkweisen und originelle Ideen über die Welt. Ich liebe Einzelausstellungen ebenso wie Themen zu entwickeln, durch die ich verschiedene Künstler:innen miteinander verbinde. Für letzteres bin ich wahrscheinlich bekannter. Ich bezeichne mich immer als journalistische Kuratorin, in dem Sinne, dass die Ideen beim Zusammenstellen eines Buches im Grunde die gleichen sind wie bei einer Ausstellung, nur dass eines dreidimensional ist und das andere in gedruckter Form exisitiert. Bei mir steht die Kunst immer im Zentrum. Ich liebe den Moment, wenn die Werke ankommen und man sie auspackt. Dieser Installationsprozess ist mein Lieblingsteil, weil man sieht, wie die Arbeiten, die man bisher nur einzeln gesehen hat, zu etwas gesamten zusammenkommen.

 

2016 hast du die Manifesta 11 in Zürich mitkuratiert. Wie war dieser Prozess und inwieweit gibt es Ähnlichkeiten zu einer Kunstmesse?

Jemand aus dem Team meinte, die Arbeit für die Manifesta 11 sei ein bisschen wie für die EU zu arbeiten, weil es viele Kompromisse einzugehen gilt. Es war spannend, mit vielen unterschiedlichen Interessenvertreter:innen, unglaublichen Institutionen, großartigen Galerien und einer Vielzahl von Nachlässen und Künstler:innen zu arbeiten. Auch bei viennacontemporary müssen wir verschiedene Stimmen und unterschiedliche Ästhetiken unter einen Hut bringen und arbeiten mit tollen Galerien zusammen. Bei der Manifesta 11 habe ich die historische Ausstellung kuratiert, in der ich zeitgenössische Kunst mit der historischen in Beziehung gesetzt habe, was ich auch bei viennacontemporary tun werde.

 

Du bist vielen auch als Chefredakteurin des Kunstmagazins EPOCH ein Begriff, machst eine monatliche Radiosendung und hast viele weitere Projekte. Wie schaffst du das alles?

Wer mich kennt, weiß, dass ich sehr viel Energie habe. Ich bin schnell und sehr an Menschen interessiert. Ich habe noch nie nur eine Sache gemacht. Viele Bälle in der Luft zu haben entspricht mir mehr.

 

Steht eine verbindende Motivation hinter diesen Projekten?

Was mich antreibt, ist die Neugierde. Es macht mir Spaß, mich in neue Aspekte der zeitgenössischen Kunstwelt zu stürzen. Und im Mittelpunkt meiner Bemühungen stehen immer die Künstler:innen und ihre Arbeit. Dieses Anliegen, die künstlerische Praxis zu fördern und sichtbar zu machen, liegt auch den Galerien sehr am Herzen. Ich habe das Gefühl, dieses gemeinsame Anliegen in meiner neuen Rolle aus einem neuen Blickwinkel und auf umfassende Weise fördern zu können.

 

Sie sind schon seit vielen Jahren in der österreichischen Kunstszene sehr aktiv. Wie kam es zu dieser Verbindung zu Wien?

Als ich Manifesta mitkuratiert habe, habe ich mich mit Gelitin angefreundet, die eine Performance bei der Eröffnung gemacht haben. Im darauffolgenden Jahr haben sie mich eingeladen, Gastdozentin in Linz zu werden, und so habe ich 2017 Wien ein wenig kennengelernt. Während der Pandemie im Jahr 2020 bin ich dann für zweieinhalb Jahre hierher gezogen und war total begeistert von der riesigen Anzahl an beeindruckenden aufstrebenden und etablierten Galerien und den unglaublichen Kunstschulen. Hier gibt es einfach so viele Möglichkeiten. Ich habe hier Projekte mit verschiedenen Galerien durchgeführt, für verschiedene Publikationen geschrieben und viele Ausstellungen besprochen. Die Stadt hat sogar mehr Off-Spaces als Berlin, wo ich davor lange war. Ich bin eine große Unterstützerin der regionalen Kunstszene!

 

Letztes Jahr hast du die ZONE1 kuratiert, die Sektion der Messe für aufstrebende Künstler:innen. Wie war dieser Prozess?

Francesca Gavin: Es war gleich aus mehreren Gründen sehr spannend, ZONE1 zu kuratieren. Drei der dort ausgestellten Künstler:innen waren davor nicht bei Galerien vertreten, und das hat sich aufgrund ihrer Ausstellung geändert.  Ich fand es auch spannend, dass viele Künstler:innen ihre Stände wie Ausstellungsräume oder Installationen behandelt haben. Es ging nicht nur um das „Produkt“, sondern auch um die Positionierung der Kunst, was der Präsentation einen ephemeren Charakter verliehen hat. Dieser Erlebniswert ist ein wertvoller Teil dessen, was Messen leisten können. Er hilft dabei, das Publikum an die Kunst heranzuführen und die Künstler:innen zu positionieren. Viele Institutionen, Ankaufskommissionen und Preisjurys kommen, um sich die Werke anzusehen. Das sind natürlich großartige Chancen für die Ausstellenden. Ich freue mich, dass ZONE1 eine sehr gute Resonanz von den teilnehmen Künstler:innen und Galerien bekommen hat.#

 

Wie ist die lokale Kunstszene im Vergleich zu deiner Heimatstadt London?

Wien ist keine Metropole wie New York, London oder Paris – und das ist ihre Stärke. Künstler:innen können es sich leisten, hier zu leben, zu studieren und den Raum zum Arbeiten zu haben. Es gibt immer mehr Publikationen, Galerien und Museen außerhalb von Wien, die auf österreichische Talente, ja, Kunst aus der gesamten Region aufgreifen. Meiner Meinung nach erhält die Stadt nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient – ich persönlich bin sehr begeistert von der Kunst aus Wien.

 

Was macht Kunstmessen so relevant?

Kunstmessen sind unglaublich wichtige Orte, um die Bandbreite an Experimenten zu zeigen, die in der zeitgenössischen Kunst stattfindet und Menschen dazu einzuladen, neue Werke zu entdecken. Messen sind ein sicheres und vertrautes Umfeld. Selbst für Sammler:innen kann der Besuch einer Messe weniger einschüchternd sein als eine Galerie zu betreten. Sie spielen auch im Image von Städten eine wichtige Rolle, indem sie die Aufmerksamkeit auf die Kreativität in der Region lenken. Für mich sind Messen der Ort, an dem ich mich nach neuer Kunst umsehe, seien es wiederentdeckte Künstler:innen, aufstrebende, oder die neuesten Arbeiten von etablierten Namen.

 

Was können wir von viennacontemporary 2024 erwarten?

Ich möchte eine Messe schaffen, die unglaublich klar, einfach und zugänglich ist – für Sammler:innen, Fachleute und das Publikum gleichermaßen. Eine Messe, die zeigt, wie spannend die Arbeiten sind, die aus Österreich, Osteuropa und den umliegenden Regionen, wie Deutschland und Italien, kommen und die beleuchtet, dass Arbeiten, die heute entstehen, aus einem bestimmten Kontext heraus entstanden sind. Da momentan ja der Kanon der Kunstgeschichte neu definiert wird, möchte ich eine neue Sektion mit wiederentdeckten Werken – vor allem von Frauen – aus dem späten 20. Jahrhundert einführen. Ich möchte Wien zu dem Hub für zeitgenössische Kunst in Europa machen.

 

Wie wird der Fokus der Messe auf Kunst aus Mittel- und Osteuropa dazu beitragen, dieses Ziel zu erreichen?

Unser Ziel ist es, etwas originelles auf die Beine zu stellen. Es gibt all diese historisch jungen, zeitgenössischen, großartigen aufstrebenden Galerien und Arbeiten aus den polnischen, tschechischen, ungarischen, georgischen und rumänischen Regionen, nur um einige zu nennen. Wenn wir sie mit Kunst aus Norditalien und Süddeutschland zusammenbringen, entsteht eine Messe, wie man sie sonst nirgendwo sieht. Das ist es, was auch Sammler:innen wollen – diese Möglichkeit zur Entdeckung. Sie wollen Werke von Künstler:innen entdecken, die man nicht in jeder Blue-Chip-Galerie sieht.

 

Es wird die erste Messe sein, die in der Halle D der Messe Wien stattfindet.

Es ist ein unglaubliches Gebäude. Es hat diesen Stil von modernem Neoklassizismus mit einer sehr hohen Decke und diesen Betonsäulen. Es ist ein großartiger Ort für meine Vorstellung einer wirklich klaren, zugänglichen und gut ausgestatteten Kunstmesse.

 

Für die Skeptiker:innen unter uns: Warum sollte man viennacontemporary 24 besuchen?

Wien ist der reinste Kunsthimmel im September. Die Stadt funkelt, und wir haben so viele großartige Initiativen, die zur gleichen Zeit stattfinden, wie Curated by, wo all diese unglaublichen internationalen Kuratoren kommen und Gruppenausstellungen in den besten Galerien der Stadt machen. Ich hoffe, dass sich die Leute davon inspirieren lassen, wie ich die Messe erweitert habe und welche neuen Galerien ich einführe. Es ist eine Kombination aus der besten Zeit der Kunst in dieser Stadt und der perfekten Zeit, um einen unglaublichen Ort zu besuchen.