„Frauen die verdiente Sichtbarkeit geben“
Collectors Interview | Katrin Bellinger
Als geborene Sammlerin bezeichnet sich Katrin Bellinger. Die Leidenschaft machte sie zum Beruf und handelte 30 Jahre lange mit Zeichnungen alter Meister. Heute ist Bellinger, die aus Köln stammt und in London lebt, auf dem Board der National Gallery und der Tate. Die meiste Zeit widmet sie ihrer umfangreichen Sammlung von Arbeiten auf Papier zum Thema ‚Künstler bei der Arbeit‘. In einem Gespräch mit viennacontemporaryMag erklärte sie, warum ein Thema in einer Sammlung sinnvoll sein kann und warum sie derzeit auch zeitgenössische Kunst von Frauen kauft.
Kamen Sie vom Kunsthandel zur Sammlung oder umgekehrt?
Ich glaube, Sammeln ist etwas, das hat man in sich. Schon als Kind hatte ich diese Sammelleidenschaft und bis heute bringe ich alles mit nach Hause, was ich finde. Meine Wohnung sieht aus wie ein Museum. Auf Messen könnte ich alles kaufen, von Antiken bis zu Ethnographischem. Irgendwann kann man es sich nicht leisten, immer nur zu kaufen, also habe ich angefangen zu verkaufen. Kunsthandel und Sammeln gingen also immer Hand in Hand. Zeichnungen haben mich besonders fasziniert, vielleicht weil ich in meiner Jugend selbst Künstlerin werden wollte.
Ihre Sammlung dreht sich um das Thema „Künstler:innen bei der Arbeit“. Warum gerade dieses Thema?
Wenn man mit etwas handelt, das man auch sammelt, kommt es schnell zu einem Interessenskonflikt, also habe ich mich auf Zeichnungen und das Thema konzentriert. Es ist auch schön breit gefasst: der Künstler im Atelier, in der Akademie, in der Landschaft, die Werkzeuge… Mich begeistert der künstlerische Prozess, besonders die Ausbildung von Künstler:innen über die Jahrhunderte. Früher musste man das zeichnen nach Gipsmodelle meistern, bevor man nach lebendigen Modellen arbeiten durfte. Die Antike galt als das Ideal, erst dann kam der menschliche Körper, der ja voller Fehler war. Das strikte Regiment, das erst im 19. Jahrhundert zerstört wurde, dieses Auflehnen gegen das rigide Training, das finde ich spannend.
Celia Paul (Thiruvananthapuram 1959), Artist in her Studio (with man painted out), 2020
Welche Vorteile hat es, einen Themenschwerpunkt zu verfolgen?
Einerseits kann man so viele verschiedene Medien sammeln – Zeichnungen, Druckgrafik,Gemaelde, Fotografie. Andererseits kann man mit vergleichsweise geringen Kosten eine wertvolle Sammlung aufbauen, da man für sehr wenig Geld etwas finden kann, das innerhalb der Sammlung absolut seine Berechtigung hat. Ich könnte mich nie nur auf einige große Meister:innen fokussieren. Wenn ich ein paar Wochen nichts kaufe, werde ich depressiv (lacht).
Und Sie finden immer wieder kleinere Themen innerhalb der großen Sammlung…
Wir hatten kürzlich eine Ausstellung in Dresden ‚Ferne, so nah. Künstler, Künstlerinnen und ihre Reisen‘ in der 100 Arbeiten zu dem Thema gezeigt wurden teilweise aus der Sammlung des Kupferstichkabinetts sowie Leihgaben. Für die Auswahl aus meiner Sammlung habe ich mich mit der Kuratorin Stephanie Buck aus Dresden zusammengesetzt. Es ist immer sehr interessant, welche Auswahl Kurator:innen, oder vor allem Künstler:innen, treffen. Dadurch bekommt man auch wieder einen ganz neuen Blick auf die eigene Sammlung.
Haben Sie Bauchweh, wenn Ihre Besitztümer auf Reisen gehen?
Nicht Bauchweh aber als ich vor kurzem ein Porträt des Künstlers Felicien Rops zu einer Ausstellung in Hamburg beigesteuert habe dann fehlt es mir natürlich. Als eine Gruppe Zeichnungen zu einer Ausstellung über historische Künstlerinnen nach Baltimore ging, war gleich eine ganze Wand leer. Aber im Grunde freue ich mich immer, wenn meine Sachen öffentlich zugänglich sind. Gibt es wirklich Sammler:innen, die heimlich im Keller mit ihrer Kunst sitzen? Ich sammle, um zu teilen.
Dieser Schwerpunkt auf alte Meisterinnen ist spannend. Was muss man über sie wissen?
Frauen stand eine Karriere als Malerin nicht offen, sie wurden meist im Atelier des Vaters oder Bruders ausgebildet, da sie keinen Zugang zu den Akademien hatten. Zeichnen wurde – wie Singen, Stricken und Musizieren – akzeptiert – nur zu gut durfte man nicht sein. Sobald es einen professionellen Anschein hatte, war es verpönt. Obwohl die historischen Künstlerinnen derzeit aufgearbeitet werden – Paris Spiess Ganz hat gerade ein tolles Buch dazu rausgebracht – ist es sehr schwierig, Arbeiten von ihnen zu finden. Daher habe ich meine Sammlung vor drei Jahren auf zeitgenössische Künstlerinnen erweitert – um da im Nachhinein ein Gleichgewicht herzustellen und Frauen die verdiente Sichtbarkeit zu geben.
Wie gehen Sie dabei vor? Die zeitgenössische Kunst ist ja doch ein neues Feld?
Ich vertraue auf Fachexpertise, weil die Alten Meister mein Gebiet sind. Daher habe ich zum Beispiel mit Katie Hessel gearbeitet, die wahnsinnig engagiert ist und die mich auf passende Werke aufmerksam gemacht hat. So sind gute Sachen zusammengekommen wie ein Gemälde Celia Paul, sowie Pastel Arbeiten von Eileen Cooper und Chantal Joffe. Da sie sich oft selber darstellen, passen sie gut zu dem Thema der Sammlung. Die Auseinandersetzung mit lebenden Künstlerinnen macht großen Spaß. Viele kommen auch zu mir, sehen sich meine Sammlung an und reagieren auf sie und das Thema. Ich sammle übrigens nicht nur Frauen: Pablo Bronstein war letztens hier, ebenso Ali Kazim.
Das ist natürlich der Vorteil bei zeitgenössischer Kunst, dass man die Personen hinter den Werken kennt.
Das macht es zuweilen komplexer und komplizierter. Ich finde ja, dass man sehr wohl das Werk von der Person dahinter trennen sollte, aber sobald man den Menschen kennt, ist das schwieriger. Gleichzeitig versteht man das Werk dann besser. Celia Paul etwa ist genauso abwägend wie ihre Werke. Und man kann Fragen stellen. Das würde ich ja sehr gerne bei meinen alten Meistern können (lacht).
Was muss denn zeitgenössische Kunst bieten, damit Sie sie sammeln?
Durch das Thema ist es auf das Gegenständliche beschränkt. Außerdem muss es mich ansprechen, das „Oh, das muss ich haben!“-Gefühl auslösen. Ich habe auch immer schon zeitgenössische Kunst außerhalb meines Themas gekauft, aber ich würde das nicht sammeln nennen. Ich bin in den 70ern und 80ern in Köln groß geworden, und mein Mann und ich haben Baselitz, Immendorff und Penck gekauft – all diese Leute, die ich auch persönlich kannte.
Muss man die alten Meister kennen, um sich in der zeitgenössischen Kunst zurechtzufinden?
Man muss Kunstgeschichte nicht auswendig kennen, aber sollte Kunst nicht isoliert zu betrachten. Man muss mit dem Sehen anfangen, dann entwickelt sich die Neugier und man will mehr wissen und es im historischen Kontext einordnen. Ich bin aber beeindruckt, wie genau Künstler:innen Kunstgeschichte kennen und sich davon inspirieren lassen.
Wie behalten Sie den Überblick über die rund 1.800 Werke in Ihrer Sammlung?
Ich habe eine Datenbank, in der ich nachsehen kann (lacht), aber die Zeichnungen kenne ich sehr gut. Das Gros der Werke ist in einem Print Room gelagert. Weil ich die Sachen gerne teile, habe ich es so eingerichtet, dass bis zu zehn Leute kommen können und dann holen wir Sachen raus und besprechen sie. Pro Woche bekomme ich so 2- bis 3-mal Besuch – oft von Studierenden, Akademiker:innen oder Forschungsgruppen.
Ihr Sammlung bietet also intellektuellen Ansporn?
Das Schönste ist, wenn Leute kommen, die mehr wissen als ich, dann lerne ich was. Zeichnungen sind ein schwieriges Gebiet, sie sind selten signiert und man steht oft vor Zuschreibungsproblematiken. Als Händlerin sind anonyme Sachen schwierig, aber als Sammlerin liebe ich sie! Nichts ist besser als Arbeiten, über die man sich die Köpfe heißreden kann. Ich habe unendlich viele Sachen, wo ich ständig herumtüftle, was es wohl sein könnte. Wir führen Buch, wer hat was vorgeschlagen hat und haben nicht selten neue Informationen rausgefunden. Das ist sehr speziell an meinem Gebiet und deswegen hängt mein Herz an den Altmeistern, weil es eben diesen Prozess der Recherchen und des Austausches liebe. Dieses detektivische fasziniert mich.
Liegt man da auch mal falsch?
Naja, es können schon Fehler passieren. Ganz am Anfang habe ich einmal eine Zeichnung gekauft und dann später in einem alten Katalog entdeckt, dass sie Teil einer größeren Zeichnung war. Da hatte ein italienischer Händler sie einfach in zwei geschnitten und ums doppelte verkauft! Zeichnung ist kein einfaches Gebiet – aber wenn man eine Entdeckung macht, ist das ein tolles Gefühl.
Auf welche Entdeckung sind Sie den besonders stolz?
Letztens habe ich in Paris eine Zeichnung gefunden, die eine Malerin an der Staffelei darstellt und die Jean-Étienne Liotard zugeschrieben war, einem wunderbaren Künstler aus dem 18. Jahrhundert, der typisch mit schwarzer, roter und weißer Kreide arbeitete. Bei näherem Hinsehen habe ich aber gesehen, dass es sich um ein Selbstporträt der Künstlerin handeln muss. Die Hand, die zeichnet, ist nämlich schwer abzubilden, weil sie sich ja bewegt, und die Künstlerin auf der Zeichnung hatte sie ausschattiert, um sie zu korrigieren. Ich sehe so etwas, aber beim Auktionshaus haben sie es offenbar nicht bemerkt. Ich habe sie erworben, weil ich es wichtig finde zu zeigen, wie sehr Künstlerinnen kämpfen mussten, weil sie keinen Zugang zur Ausbildung hatten.