„Ich hatte nie die Absicht, eine Sammlung anzufangen“
Collector's Interview | Galila Barzilaï-Hollander

Galila Barzilaï-Hollanders Reise in die zeitgenössische Kunst begann unerwartet nach dem Tod ihres Ehemanns, als sie 2005 irrtümlich bei der Armory Show in New York landete. Heute umfasst ihre Sammlung über 2.000 Künstler:innen. Im persönlichen Gespräch erzählt sie, wie ihr Ausstellungsraum P.O.C. (Passion, Obsession, Collection) in Brüssel zu einem Werkzeug fürs Wohlbefinden geworden ist und welche Hoffnungen sie für seine Zukunft hat.
viennacontemporary: Wie hat die Sammelleidenschaft bei Ihnen begonnen?
Galila Barzilaï-Hollander: Meine Geschichte ist sehr ungewöhnlich, denn ich hatte nie vor, eine Sammlung zu gründen. Mein verstorbener Ehemann war leidenschaftlich an Antiquitäten interessiert, und das war 30 Jahre lang unsere Welt. Nach seinem Tod im Herbst 2024 ging es mir sehr schlecht als sich sein Geburtstag und unser Hochzeitstag im März 2005 näherten. Um mich abzulenken, bin ich nach New York gefahren, wo ich auf eine Anzeige für die Armory Show stieß. Naiv nahm ich an, dass es sich um eine Ausstellung über Rüstungen (Armory) handelte! Dort angekommen, stellte ich fest, dass es eine Messe für zeitgenössische Kunst war. Nach nur 20 Minuten kaufte ich mein erstes Werk von Tom Fowler. Das Stück sprach mich sofort an: „WHY?“ 11.522 Mal mit Tinte geschrieben. Es spiegelte meinen inneren Zustand wider. Ich nahm es direkt mit.
viennacontemporary: Und das war der Beginn Ihrer Sammlerkarriere?
Galila Barzilaï-Hollander: Ich nenne es eine Wiedergeburt. Dieser Moment weckte etwas in mir, das lange verborgen war. Als ich durch die Messe ging, fühlte ich mich unglaublich wohl und angenommen. Ich verstand den Kunstmarkt nicht—ich verhielt mich wie eine vollkommene Anfängerin—aber die Leute waren so nett. Ich habe schnell wichtige Grundlagen erfasst. Obwohl ich kein Fachwissen hatte, besaß ich wahrscheinlich schon ein Auge für gute Kunst – das Konzept von Qualität ist schließlich universell.
Es wurde schnell zu einer Sucht—meine erste überhaupt. Ich begann, Kunstmessen auf der ganzen Welt zu besuchen, von Europa bis Fernost. Neugier und Intuition leiteten mich, und ich vertraute meinem Bauchgefühl.
viennacontemporary: Ihre Herangehensweise beim Kauf ist also komplett intuitiv?
Galila Barzilaï-Hollander: Absolut. Für mich geht es darum, ob ein Kunstwerk persönlich mit mir resoniert. Bis heute entscheide ich zuerst, ob ich ein Stück kaufen möchte, dann frage ich nach dem Preis, und erst danach – wenn ich entschieden habe, dass ich kaufe –frage ich nach dem Künstlernamen. Ich möchte nicht von Ruf oder Nachrede beeinflusst werden. Die drei Fehler, die ich in meinen 20 Jahren als Sammlerin gemacht habe, geschahen, weil ich auf andere gehört habe. Kuratoren rieten mir von bestimmten Künstler:innen ab, und heute kann ich mir ihre Werke nicht mehr leisten, weil sie so erfolgreich geworden sind. Ich mache lieber meine eigenen Fehler.
viennacontemporary: Sie haben inzwischen viel Erfahrung gesammelt. Hat sich Ihre Herangehensweise dadurch verändert?
Galila Barzilaï-Hollander: Ich behaupte weiterhin, dass ich nichts weiß, und ich denke nicht, dass sich meine Herangehensweise grundlegend verändert hat. Vielleicht bin ich etwas anspruchsvoller geworden und ich habe sicherlich Werke, die ich heute nicht mehr kaufen würde. Aber ich habe noch nie eine Arbeit verkauft. Jedes Werk ist Teil meiner Geschichte, Teil der Familie. Man gibt ja auch kein Kind weg, nur weil es anders ist. Jedes Stück findet seinen Platz in der Sammlung, und ein etwas einfach gestricktes Kind profitiert von der Nachbarschaft zu cleveren Geschwistern. Meine Sammlung umfasst Künstler:innen aller Niveaus: Studierende, etablierte Talente und renommierte Namen—aber ich zeige keine Namensschilder. Jedes Werk steht im Dialog mit den anderen. Es geht um Respekt, Zuhören und das Öffnen des Geistes für verschiedene Perspektiven.
viennacontemporary: Wie würden Sie Ihre Sammlung beschreiben?
Galila Barzilaï-Hollander: Ich folge keiner bestimmten Linie. Die Sammlung ist ein nonverbales Abbild von mir. Sie gleicht einem Puzzle—jedes Stück hat seinen speziellen Platz, und wenn das Puzzle irgendwann einmal vollständig sein sollte, ergibt es ein Bild. Oft habe ich das Gefühl, dass die Werke mich finden. Sie reflektieren Beziehungen, Entscheidungen, Verbindungen, es dreht sich um Zusammenleben und Dialog. Die Botschaften der Werke sind universell, und Besucher:innen spüren sie oft sofort. Sie müssen nicht alles mögen, aber sie verlassen den Raum doch immer glücklich und inspiriert.
viennacontemporary: Erzählen Sie uns von Ihrem Raum, P.O.C. (Passion, Obsession, Collection).
Galila Barzilaï-Hollander: Ich habe vor vielen Jahren ein Gebäude in einem heruntergekommenen Viertel gekauft, mit dem Ziel, es später mit Gewinn zu verkaufen. Zunächst stellte ich es Kurator:innenen mietfrei zur Verfügung. Doch nachdem ich meine Sammlung in Institutionen gezeigt hatte, entschied ich mich, das Gebäude zu renovieren und meine Sammlung dauerhaft zu teilen. 2019 kam dann eine Anfrage von den Patrons und Freund:innen des Guggenheim Museums, meine Sammlung zu besuchen. Das gewählte Datum—der 13. März—war der Geburtstag meines verstorbenen Mannes. Es war ein Zeichen und ich konnte doch nicht NEIN zum Guggenheim sagen, oder? Also beeilten wir uns, die Renovierungsarbeiten abzuschließen, und ich kuratierte die erste Ausstellung namens „Overdose“ selbst.
Ich war sehr nervös und machte mir Sorgen, was diese anspruchsvolle Gruppe denken würde. Zu meiner Überraschung waren sie wirklich begeistert. Später habe ich erfahren, dass einige von ihnen inzwischen sogar Werke von Künstler:innen gekauft haben, die sie hier entdeckt hatten.
Der Titel „Overdose“ wurde bis heute nicht geändert, da er mit der Zeit eine tiefe Bedeutung erlangte. Ich nehme kein einziges Werk aus der ursprünglichen Ausstellung weg – ich füge nur immer mehr hinzu!
viennacontemporary: Das klingt nach einer umfangreichen Ausstellung Ihrer Sammlung.
Galila Barzilaï-Hollander: Ich zeige etwa 600 Werke, bei weitem nicht die gesamte Sammlung. Die Besucher:innen fühlen sich hier wohl und willkommen, unabhängig von Alter, Kultur oder Herkunft. Eine örtliche Schule für Schulabbrecher:innen bringt zum Beispiel zu Beginn eines jeden Schuljahres Schüler:innen mit. Es handelt sich um junge Menschen, die nicht in die traditionellen Schulen passen und oft mit Problemen wie Drogen oder anderen Problemen zu kämpfen haben. Der Raum zeigt ihnen, dass es unzählige Möglichkeiten gibt, die Welt zu betrachten, und dass traditionelle Wege nicht die einzige Option sind. Er gibt ihnen Hoffnung und Inspiration. Für viele ist die Sammlung zu einem Instrument des Wohlbefindens geworden. Die Menschen kommen mit einem Gefühl der Niedergeschlagenheit und gehen mit lächelnden Gesichtern, voller Ideen und Energie.
viennacontemporary: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Sammlung?
Galila Barzilaï-Hollander: Meine größte Sorge ist, was mit der Sammlung nach mir geschehen wird. Ihre soziale und erzieherische Rolle wird allgemein anerkannt. Sie öffnet den Geist für Kreativität, Problemlösung, Verständnis und viele, viele menschliche Aspekte. Die Leute sagen, sie sollte ein Ort für die Öffentlichkeit bleiben. Ich bin kein Museum und habe auch nicht die Struktur, um eines zu gründen, aber ich hoffe, dass es weiterhin als Raum für Kreativität und Inspiration dienen kann.
In der Zwischenzeit, bis ich die richtige Lösung für dieses Problem gefunden habe, sollte ich vielleicht anfangen, nach und nach immer weniger zu kaufen. Jeden 31. Dezember schwöre ich mir, dass ich keine Kunst mehr kaufen werde. Aber ich habe dieses Jahr schon gekauft, und ich weiß nicht, was mich davon abhalten soll. Vielleicht sollte ich mich selbst ins Gefängnis stecken, oder ohne Internet, oder auf eine einsame Insel. (lacht)