„Wenn man sich für Kultur interessiert, ist es wichtig, dass man auch etwas zurückgibt.“
Collectors Interview | Martin Hatebur
Der Schweizer Anwalt Martin Hatebur ist seit 2008 Präsident der Kunsthalle Basel und leidenschaftlicher Kunstsammler. Zudem engagiert er sich aktiv für zeitgenössische Kunst in verschiedenen Funktionen, darunter als Präsident des St. Moritz Art Film Festival, im Vorstand von Lafayette Anticipations in Paris, in der Schweizerischen Vereinigung der Kunstsammler, in der Stiftung für Kunst und Design in Basel sowie in der Giancarlo e Danna Olgiati Foundation. Er vertritt die Überzeugung, dass jeder Mensch sich für Kunst engagieren kann – und sollte.
viennacontemporary: Wie kam es zu der Liebe zur Kunst?
Martin Hatebur: Das kam tatsächlich durch eine Begegnung mit einem Österreicher zustande – nämlich mit Peter Pakesch, dem damaligen Direktor der Kunsthalle Basel. Ich habe ihn in Basel kennengelernt und er hat mich in die Kunsthalle geschleppt (lacht), das muss so Anfang der 90er Jahre gewesen sein. Mein Beruf als Anwalt ist teilweise ziemlich trocken. Und Peter Pakesch hat mich wirklich überzeugt, dass Kunst etwas Spannendes ist.
Welche Künstler:innen haben hier den Ausschlag gegeben?
Peter Pakesch hatte eine Galerie in Wien, wo er Albert Oehlen, Martin Kippenberger, so diese Generation gezeigt hat. Das hat er dann auch in die Kunsthalle gebracht. Aber die Ausstellung, die mich am meisten fasziniert hat, war von Christopher Wool. Es war eine seiner ersten Ausstellungen in Europa; sie kam direkt nach seiner Ausstellung im Moca in Los Angeles von Ann Goldstein. Auch als Künstler hat er mich sehr interessiert, das erste Werk, dass ich je gekauft habe, ist von ihm, ein Blumenbild. Ich finde ihn immer noch einen sehr tollen Künstler.
Inzwischen sind Sie ja seit 16 Jahren bereits Präsident der Kunsthalle Basel – Wie geht sich das neben der Arbeit aus?
Am Anfang war nicht zu viel zu tun, das ging gut neben der Arbeit. Und dann wurde es mehr und mehr, ich habe viele rechtliche Aufgaben und Fundraising übernommen. Inzwischen arbeite ich etwa 30 Prozent meiner Zeit unentgeltlich für die Kunsthalle. Unser jährliches Budget beträgt drei Millionen Franken, von der Stadt erhalten wir knapp unter einer Million, das Restaurant bringt uns 500.000 ein, die Vermietung eines Teils unseres Gebäudes an das Stadtkino und das Schweizerische Architekturmuseum auch ein bisschen. Gemeinsam mit Elena Filipovic treiben wir dann jährlich so circa eine Million über private Kontakte ein.
Welchen Einfluss hat diese Pro-Bono Tätigkeit auf Ihre Sammlung?
Ich entdecke durch die Kunsthalle sehr viele Künstlerinnen und Künstler, die ich nicht kannte und oft kaufe ich ein Werk, das in der Kunsthalle ausgestellt war.
Das letzte erstandene Kunstwerk: Wade Guyton, Galerie Matthiesen, Ausstellung, Edouard Manet, 1928, 6. Februar bis 18. März, Vol.II, 100 to 108, 2022, Litografie auf Buchseiten. Courtesy: Martin Hatebur
Welche Qualitäten muss ein Werk denn mitbringen, damit Sie es gut finden?
Ich folge meinem Instinkt. Und, was man heute ja gar nicht mehr sagen darf, es ist wichtig, dass es mir ästhetisch gefällt. Wobei es sehr wohl vorkommt, dass ich mit etwas am Anfang nicht so viel anfangen kann und erst nach einiger Zeit zu lieben lerne. Es gibt auch institutionelle Kunst, die ich sehr mag. Raphaela Vogel etwa, die macht praktisch nur Installationen, die in den Institutionen toll zur Geltung kommen, aber um sie privat bei sich zu Hause zu haben, müsste man schon sehr viel Platz haben. Nairy Baghramian ist eine Künstlerin, die ich intensiv verfolge und von der ich viele Werke besitze. Auch sie macht überdimensional große Kunst, aber man findet immer wieder Sachen, die in einer Wohnung Platz haben.
Ihre Sammlung umfasst etwa 300 Werke. Leben Sie mit all Ihrer Kunst?
Ich habe nichts in meiner Sammlung, das ich nicht auch zu Hause hängen oder aufgestellt haben möchte. Glücklicherweise habe ich vier Häuser – in Basel, Paris, Stromboli und St. Moritz – und die sind alle mit meiner Kunst bestückt. Ich sammle vor allem Bilder – abstrakte, ebenso wie figurative, aber auch kleine Skulpturen. Videokunst habe ich ganz wenig – ich finde sie toll in Institutionen – ich bin ja auch Präsident des St. Moritz Art Film Festivals und da zeigen wir nur Kunstfilme – aber zu Hause ist es nicht so einfach.
Sehen Sie den Kunstkauf als privates Hobby oder auch als finanzielle Anlage?
Nun ja, wenn etwas ein paar tausend Franken kostet – sicherlich ist das viel Geld, aber da bekomme ich keine Bauchschmerzen darüber. Wenn etwas über 100.000 Franken kostet, frage ich mich schon, ob es seinen Wert behält. Ich kaufe nie ganz früh, sondern warte, bis ich mir sicher bin, dass es mir gefällt. Weil heute die Preise der jungen Kunst oft sehr teuer geworden sind.
Inwiefern?
Letztens habe ich eine wichtige Zeichnung von Cy Twombly in einer Auktion um 200.000 Pfund gesehen – und eine Arbeit von Issy Wood kostet fast gleich viel. Junge Kunst ist toll zu entdecken, aber die Preise sind einfach verrückt.
Es gibt vielleicht viele jüngere Sammler:innen, die es cooler finden, eine Arbeit von Issy Wood zu haben als von Cy Twombly, weil es die gleiche Generation ist.
Oder, weil sie es in zwei Jahren teurer verkaufen können… Ich habe ihre Ausstellung in Lafayette Anticipations gesehen, wo ich ja auch Board bin. Die war begleitet von einem Konzert von Issy Wood, das war fantastisch. Sie schreibt alle ihre Songs selbst. Die Ausstellung war in diesem Zusammenhang dann auch super, wenn man die Titel ihrer Arbeiten liest und die Hintergründe versteht, sieht man die Kunst schon gleich anders…
Sie konzentrieren sich derzeit mehr darauf, eine größere Arbeit zu kaufen als mehrere kleinere. Ist das eine logische Schlussfolgerung Ihrer Erfahrung als Sammler?
Wenn man zehn kleine Arbeiten kauft, die dann im Storage landen, ist das schade und am Schluss zahlt man mehr dafür, als wenn man eine teurere Arbeit kauft. Das ist für mich auch eine Platzfrage.
Welche Tipps würden Sie angehenden Sammler:innen geben, deren Wände noch leer sind?
Es sollte eigentlich klar sein, aber: man sollte kaufen, was einem gefällt; und nicht auf Leute hören, die sagen, dass diese im Preis steigen und jene fallen werden…Natürlich kann man das tun, aber das ist für mich dann keine Sammlung. Sammler:innen sind meiner Meinung nach Leute, die sich sehr für die Künstler:innen und deren Kunst interessieren und damit leben wollen. Wenn man wirklich sammeln möchte, empfehle ich eher, Gruppen von Arbeiten der gleichen Künstler:innen aufzubauen. Also über Jahre hinweg immer wieder Positionen von Künstler:innen zu kaufen, um sie in ihrer Entwicklung zu begleiten. Und die Involvierung in Institutionen finde ich auch wichtig. Da lernt man sehr viel und entwickelt ein gewisses Auge.
Sie sind ja auch als Patron sehr aktiv.
Da bin ich eigentlich seit der Zeit von Peter Pakesch in der Kunsthalle Basel sehr aktiv und unterstütze pro Jahr gemeinsam mit meinem Partner so zwei Ausstellungen in der Kunsthalle. Ich unterstütze auch andere Sachen, wie etwa das Swiss Institute in New York und andere Museen / Institutionen, aber die Kunsthalle Basel ist mir am nächsten. Ich finde übrigens nicht, dass nur Sammler und Sammlerinnen die Verantwortung haben, Institutionen zu unterstützen, sondern auch die erfolgreichen Künstlerinnen und Künstler. Die tun dahingehend sehr wenig, da herrscht wenig Bewusstsein. Die könnten auch Ausstellungen junger Künstler:innen unterstützen. Eigentlich ist es unwichtig, wie man das Geld verdient hat – wenn man sich für Kultur interessiert, ist es wichtig, dass man auch etwas zurückgibt.
Gilt das für alle Menschen?
Ich finde schon, dass Einzelpersonen eine Verantwortung haben, Institutionen finanziell zu unterstützen. Das Gemeinwesen ebenso. Kunst ist Teil unserer Kultur und es ist wichtig, dass der Staat dazu etwas beiträgt. Auch Firmen! Bei der Kunsthalle Basel haben wir viele Privatpersonen, die uns unterstützen, aber sehr wenige Firmen. Da ist die Visibilität wohl zu klein. Dabei haben wir all diese Biotec-Firmen in Basel, Novartis und Roche, die in die Forschung investieren und eigentlich tun wir ja das gleiche – wir investieren in die Forschung, in die Zukunft. Sehr viele Künstler:innen, die wir ausgestellt haben, werden ja dann in größeren Museen gezeigt. Wir sind sozusagen die Entdeckerplattform.
Zeitgenössische bildende Kunst wird ja oft immer noch als elitär wahrgenommen. Wie bringt man sie mehr in die Mitte der Gesellschaft?
Da hat sich bereits viel getan. Bei uns in der Kunsthalle Basel ist die Zahl der Besucher:innen stark gestiegen, inzwischen haben wir fast 40.000 Besucher:innen pro Jahr, sehr viele davon sind junge Menschen. Und das in einer kleinen Stadt und einer Institution rein für zeitgenössische Kunst. Vor zehn Jahren war es noch die Hälfte. Auch in Paris und London sehe ich ähnliche Trends. Die Leute haben mehr Informationen und Interesse an Kunst. Da wurde schon viel Arbeit geleistet von den Institutionen und Museen aber auch von Messen. Bei der „Paris+ par Art Basel“ waren viele Familien mit Kinderwägen.
Sie leben sowohl in Basel als auch in Paris – wie bewerten Sie Paris+ par Art Basel und ist sie eine Konkurrenz für den Standort Basel?
Ich finde es eine sehr gute Idee und habe auch keine Sorge, dass Basel darunter leidet. Insbesondere, wenn ich mir die Vorteile von Basel ansehe: die Organisation ist schweizerisch perfekt, sie haben viel mehr Erfahrung. Dann sind die dortigen Zollfreilager sehr attraktiv für Käufer und auch die Sicherheit ist größer als in Paris, wie man mit den ganzen Alerts im Louvre gesehen hat. Die Konzentration auf Kunst ist in Basel natürlich auch viel größer, während man in Paris tausende konkurrierende Events hat. Die jungen Sammler:innen kommen aber sicher lieber nach Paris als nach Basel. Und natürlich ist entscheidend, welche Käufer:innen kommen und das zu beeinflussen, ist nicht einfach. Wir diskutieren da sehr viel in Basel, was wir tun können, um attraktiv zu bleiben, haben auch Kontakt gehabt mit den Hotels wegen Preisen.
In der Schweiz gibt es immerhin fantastische lokale Sammler:innen, die der Art Basel sehr treu sind und sie regelmäßig unterstützen.
Die Kunst ist in der DNA der Basler Büger:innen. Basel hat 40 Museen bei circa 250.000 Einwohnern. Kennen Sie die Picasso-Geschichte? In den 60ern hatten Sammler dem Kunstmuseum zwei Werke von Picasso ausgeliehen. Als die Fluggesellschaft der Sammler Konkurs gegangen ist, mussten die Sammler die Werke verkaufen, aber das Museum hatte das Geld nicht. Da brach in der Stadt ein Picasso-Fiber aus: die Basler:innen sind auf die Straße gegangen und haben Geld gesammelt, organisierten Bettelfeste, putzten Schuhe und verkauften Mahlzeiten für diesen guten Zweck. Am Schluss wurde sogar darüber abgestimmt, ob die Stadt Basel die restlichen, fehlenden 6 Millionen aufbringen soll, um die beiden Werke zu kaufen und das Basler Volk hat Zustimmung dazu erteilt.
Picasso selbst war so gerührt von der Geschichte, dass er der Stadt Basel vier weitere Werke dazu geschenkt hat.
Was muss eine Kunstmesse bieten, um international attraktiv zu sein?
Das Wichtigste ist die Qualität der Galerien! Dann natürlich die Ausstellungen um die Messe herum. Wenn in Wien parallel zur Messe eine große Schiele-Ausstellung stattfindet, kann ich mir gut vorstellen, dass es ein Grund mehr ist, um anzureisen. Und das VIP-Programm natürlich, wenn es spannend ist. Das Interessanteste sind ja immer die Privatsammlungen. Am Anfang hatte ich das Gefühl, dass da viel mehr gekommen sind und ihre Häuser geöffnet haben. Es gab auch viel weniger Sammler und man kannte sich. Als ich das erste Mal zur Messe nach Mexiko gefahren bin, das war fantastisch: Überall war man eingeladen, alles hat man angeschaut. Aber die Wiener sind ja auch sehr gastfreundlich.
Ja, die Stadt macht sich, die Szene ist sehr aktiv.
Letzte Woche habe ich Peter Pakesch gesehen und er war ganz begeistert, wie gut sich Wien entwickelt, mit seinem Angebot an Off-Spaces und junger Kunst. Das ist immer toll, wenn sich eine Stadt von innen heraus entwickelt. Da entstehen wahre Energie und Lebendigkeit.