Viennacontemporary

Jenseits des Frauentags

 Die fortlaufende Arbeit für Gleichberechtigung in der Kunst

Karolina Jabłońska, Gotująca się głowa [Boiling Head], 2022, oil on canvas, 150 x 150 cm

Kaum ist der Internationale Frauentag vorbei, wird es still um das Thema Gleichberechtigung. Dabei ist die Förderung von Künstlerinnen eine kontinuierliche Aufgabe, die weit über diesen einen Tag hinausgeht. Die gute Nachricht? Künstlerinnen werden heute mehr denn je gesammelt. Doch trotz der Fortschritte gibt es immer noch Herausforderungen, von der institutionellen Anerkennung bis hin zu den Preisunterschieden auf dem Kunstmarkt.

Wir sprachen mit Sammler:innen und Kunstexpert:innen darüber, warum es wichtig ist, den Fokus auf Künstlerinnen zu legen, und was sich noch ändern muss.

 

Alexia Stuefer: Feministischer Ansatz beim Sammeln

“I would like to encourage everyone to let their imagination run wild, to listen to the inner voice, and to trust their gut feeling.” – Alexia Stuefer with Ruth Anne by Jakob Lena Knebl, 2020. Photo: Constanze Kren

Sammlerin Alexia Stuefer mit Ruth Anne von Jakob Lena Knebl, 2020. Foto: Constanze Kren

 

Ihre Sammlung konzentriert sich stark auf Künstlerinnen – können Sie uns mehr darüber erzählen?

Feminismus ist das Herzstück meiner Sammlung. Sie umfasst Künstlerinnen aus allen Epochen, Regionen und Medien und betont die Mehrdimensionalität. Es ist an der Zeit, deutlich zu machen: Frauen waren schon immer Teil der Kunstgeschichte.

 

Wie kam es zu diesem Schwerpunkt?

Die Idee kam mir beim Autofahren – ich wollte Werke mit feministischem Timbre hervorheben. Feministische Kunst wird oft zu eindimensional gesehen, aber ich wollte ihre Komplexität herausstellen. Die Reaktionen auf meine Sammlung reichten von Ablehnung bis hin zu Begeisterung – und spiegeln damit genau die Debatten wider, die feministische Kunst auslöst.

 

Wie beurteilen Sie die Sichtbarkeit und Marktposition von Künstlerinnen heute?

„Blue-Chip-Künstler:innen“ sind meist männlich, weil der Kunstmarkt noch immer nach patriarchalem Mustern folgt und ebensolchen Zwecken dient, als besonders prestigeträchtig gelten großformatige Ölbilder des „Malerfürsten“. Umbrüche sind sichtbar, aber zäh, wenngleich nicht aufzuhalten, denn Kunst lässt sich – wie die Geschichte eindrücklich zeigt – nicht instrumentalisieren. Es ist somit der richtige Zeitpunkt, das Interesse auf die Werke von Künstlerinnen, seien es zeitgenössische oder aus andern Epochen zu lenken.

 

Welche Künstlerinnen begeistern Sie momentan am meisten?

Es gibt so viele, dass es unmöglich wäre, sie alle aufzuzählen! Wir leben in einer aufregenden Zeit, in der unglaubliche Kunst geschaffen wird – und, was ganz wichtig ist, sie ist zugänglicher – und leistbarer – denn je.

 


Michelle Cotton: Die institutionelle Sichtweise

Foto: Kunsthalle Wien“

Michelle Cotton nist die künstlerische Leiterin der Kunsthalle Wien. Foto: Kunsthalle Wien

 

Was sind die größten Herausforderungen für Künstlerinnen, um institutionelle Anerkennung zu erlangen?

Für Radical Software: Women Art & Computing habe ich meine erste reine Künstlerinnenliste erstellt, weil das historische Ungleichgewicht angegangen werden musste.Auch wenn wir heute nicht mehr oft von „Künstlerinnen“ als Kategorie sprechen, gibt es immer noch Herausforderungen. Ich weiß, dass viele junge Künstlerinnen mit den Anforderungen zu kämpfen haben, die zu Beginn ihrer Karriere an sie gestellt werden, z. B. beruflich und gesellschaftlich ständig präsent und sichtbar zu sein. Die Erwartung, dass Künstler:innen täglich im Atelier arbeiten oder für Residencies, Meetings, Besuche vor Ort, Jurys, Vorträge, Installationen, Eröffnungen und Messen reisen, steht oft auch im Konflikt mit der Realität von Beziehungen oder dem Familienleben, und ich weiß, dass diese Entscheidungen für Künstlerinnen oft schwer wiegen.

 

Wie unterstützt die Kunsthalle Wien die Gleichstellung der Geschlechter?

Die Förderung von Künstlerinnen und Künstlern und das Streben nach Gleichberechtigung sind zentrale Ziele der Institution.

 

Können Sie Künstlerinnen oder Ausstellungen empfehlen, die man sich ansehen sollte?

Es gibt zu viele, um sie aufzuzählen, aber ich denke, dass die Künstlerinnen, die in unseren aktuellen und kommenden Ausstellungen zu sehen sind, bereits einen guten Anfang darstellen! Es ist eine aufregende Zeit, da viele zeitgenössische Kunstinstitutionen in Europa jetzt von Frauen geleitet werden – eine große Veränderung im Vergleich zu vor 15 Jahren, und ich halte das für eine sehr positive und vielversprechende Entwicklung.

 


 

Sammler Michal Borowik: Neue Narrative unterstützen

Photo: Natalia Poniatowska / Borowik Foundation Archive© 2024, Borowik Foundation, Warsaw, PL

Foto: Natalia Poniatowska / Borowik Foundation Archive © 2024, Borowik Foundation, Warsaw, PL

Was reizt Sie daran, Werke von jungen Künstlerinnen zu sammeln?

Meine Sammlung wird von Intuition und der Neugier auf Erzählungen geleitet, die die vorherrschenden Perspektiven in Frage stellen. Die Kunstwelt hat lange Zeit Künstlerinnen übersehen, vor allem junge Künstlerinnen, doch viele von ihnen setzen sich auf eindringliche und kraftvolle Weise mit Identität, Körperpolitik und historischer Erinnerung auseinander. Ihre Arbeit zu unterstützen ist nicht nur eine ästhetische Entscheidung – es geht darum, eine integrativere Kunstlandschaft zu fördern.

 

Gibt es ein gemeinsames Thema in ihrer Arbeit?

Ich sehe keine einheitliche Ästhetik, sondern eine gemeinsame Sensibilität in ihrer Fähigkeit, Normen zu hinterfragen. Agata Słowak bewegt sich zwischen dem Intimen und dem Politischen und setzt sich mit Fragen von Geschlecht und Sexualität auseinander, während sie auf unterschiedliche Weise Körperlichkeit und zwischenmenschliche Beziehungen erforscht, oft in einer Weise, die traditionelle Darstellungen der weiblichen Form in Frage stellt. Diese Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten, verbindet viele der Künstlerinnen in meiner Sammlung.

 

Was muss sich noch ändern?

Auf dem Kunstmarkt werden Künstlerinnen immer noch unterbewertet. Die Institutionen müssen ihre Sammlungen und Ausstellungsprogramme überdenken, um sicherzustellen, dass sie nicht als Ausnahme oder Trend behandelt werden. Sammler:innen, Kurator:innenen und Galeristen haben die Aufgabe, sich für ihre Werke einzusetzen – nicht nur durch Ankäufe, sondern durch nachhaltiges Engagement. Und wir müssen die Ungleichheiten bei der Preisgestaltung angehen: Es besteht die Tendenz, die Arbeit von Künstlerinnen als persönlich und nicht als universell zu betrachten, was ihre wahrgenommene Bedeutung abwertet. Die Werke von Frauen werden durchweg zu einem niedrigeren Preis verkauft als die ihrer männlichen Kollegen, selbst wenn ihre Karrieren ebenso etabliert sind.

 

Welche aufstrebenden Künstlerinnen sollte man im Auge behalten?

Die rohe emotionale Intensität von Agata Słowak fühlt sich immer aktueller an. Karolina Jabłońska bringt Folklore und unterbewusste Erzählungen in die zeitgenössische Malerei ein. Katarzyna Górna, deren Erforschung von Erinnerung und weiblicher Identität einen tiefen Eindruck hinterlässt. Aus einer breiteren mittel- und osteuropäischen Perspektive setzen sich Kataryna Lysovenko und Ala Savashevich kritisch mit historischen Erzählungen aus einer feministischen Perspektive auseinander.


 

Sophia Vonier: Repräsentation neu denken

Galerie Sophia Vonier, Foto: Henrik Stoltenberg

Du hast einmal gesagt, dass du in deinem Galerienprogramm 80 % Künstlerinnen repräsentieren möchtest, um der Geschlechterungleichheit entgegenzuwirken – warum gibt es sie immer noch in der Kunstwelt, die als selbstkritisch und „woke“ gilt?

Noch vor wenigen Jahren wurden Ausstellungen mit ausschließlich männlichen Künstlern nicht einmal kritisiert. Während meines Studiums besuchte ich einmal mit meinem Professor eine Galerie. Er fragte die Galeristin, warum in der Gruppenausstellung nur Männer vertreten seien. Ihre Antwort lautete: „Wir treffen die Auswahl nach Qualität.“  Dieser Satz hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt, und ich ahnte damals nicht, wie oft ich ihn noch hören würde. Er hat etwas Kämpferisches in mir geweckt. Qualität kennt kein Geschlecht.

Junge weibliche Kunst wird immer mehr gekauft – kannst du diesen Trend bestätigen?

Es stimmt, dass sich in den letzten Jahren ein größeres Interesse an den Arbeiten junger Künstlerinnen entwickelt hat. Institutionen, Biennalen und Sammler:innen richten ihren Fokus zunehmend auf Positionen, die lange marginalisiert wurden. Das ist zweifellos ein Fortschritt, aber es darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kunstmarkt nach wie vor stark von männlichen Künstlern dominiert wird, insbesondere in den oberen Marktsegmenten.

Ein nachhaltiger Wandel erfordert deshalb mehr als kurzfristige Aufmerksamkeit: Es braucht langfristige Förderung, gezielte Ankaufspolitiken von Museen, faire Preisstrukturen und vor allem eine kritische Auseinandersetzung mit dem kunsthistorischen Kanon, der weibliche Perspektiven über Jahrhunderte hinweg ausgeblendet hat.

Welche aufstrebenden Künstlerinnen begeistern dich derzeit besonders und warum?

Ich finde es spannend, wie Künstlerinnen heute tradierte kunsthistorische Narrative hinterfragen und neue ästhetische und konzeptuelle Strategien entwickeln. Viele Positionen beeindrucken mich, das hat nicht zwingend etwas damit zu tun, ob ich mit diesen Personen zusammenarbeite oder nicht. Ganz neu in meinem Programm ist Madita Kloss, die mit kraftvoller Geste und expressiver Bildsprache Stilelemente aus Kunstgeschichte und Popkultur aufgreift, transformiert und in einen zeitgenössischen Kontext überführt.