CONTEXT
viennacontemporary präsentiert die neue Sektion CONTEXT, kuratiert von Pernilla Holmes, mit neun Einzelpräsentationen von Künstlerinnen und Künstlern aus dem späten 20. Jahrhundert, von denen einige in der Vergangenheit übersehen wurden, während andere die heutige österreichische Kunstszene entscheidend mitgeprägt haben.
Die Sektion stellt Verbindungen zwischen der Innovation von heute und der Erfindung und reichen Geschichte der Kunst in Mittel- und Osteuropa her und zeigt auf, wie die Gegenwart aus einer spannenden jüngeren Vergangenheit hervorgeht.
Sechs der neun vorgestellten Künstler:innen sind Frauen, von denen einige performative, avantgardistische Praktiken entwickelten, die traditionelle Vorstellungen von Weiblichkeit in Frage stellten und das weibliche Begehren von den Grenzen der Moral befreiten. Andere forderten die Grenzen dessen heraus, was ihre männlichen Kollegen als „hohe Kunst“ definierten.
Daneben werden Künstler:innen gezeigt, die zwar hierzulande bekannt sind, auf der internationalen Bühne jedoch weniger – trotz ihrer zukunftsweisenden kunsthistorischen Innovationen. Collage und Abstraktion sind heute fester Bestandteil der Kunstgeschichte – diese Künstlerinnen und Künstler gehörten zu den frühen Vertreter:innen dieser bahnbrechenden Techniken, und wir freuen uns, ihre Praktiken zu beleuchten, während wir neu überlegen, wessen Geschichten heute von wem erzählt werden.
ÜBER DIE KURATORIN
Die Kunstberaterin, Kuratorin und Autorin Pernilla Holmes ist seit 2010 Direktorin der Kunstberatungs- und Kulturstrategie-Firma Wedel Art und leitete eine Reihe von Sonderprojekten, darunter Ausstellungen mit Künstler:innen wie Theaster Gates, Shara Hughes, Sam Gilliam und Frank Bowling. Pernilla hat einen MA des Courtauld Institute und hat ausführlich über Kunst in Katalogen und für Publikationen wie die Financial Times, Newsweek, World of Interiors und ARTnews geschrieben. Außerdem hält sie Vorträge und Gespräche zu einer Vielzahl von Themen auf der ganzen Welt, darunter eine Reihe über das Sammeln mit Frieze, Einzelinterviews mit Künstler:innen und die Moderation von und Teilnahme an Podiumsdiskussionen zu Themen wie Artworld Disruptors, Art under the Radar und New Trends in Collecting.
KÜNSTLER:INNEN
Kosara Bokšan (geboren 1925 in Berlin, gestorben 2009 in Belgrad) war eine serbische Künstlerin, die zu den Gründungsmitgliedern der Zadar-Gruppe gehörte, einer Gruppe von Studenten der Belgrader Akademie der Schönen Künste, die in den späten 1940er Jahren die konservativen künstlerischen Prinzipien, die ihnen beigebracht worden waren, ablehnten und einen neuen, avantgardistischen Raum innerhalb der serbischen Kunst beanspruchten. Sie durchlief verschiedene Schaffensphasen, die vom Realismus zur informellen Abstraktion und schließlich zum Symbolismus führten, wobei sie stets mit Bewegung und Farbe experimentierte. Während ihres gesamten Lebens stellte Bokšan ihre Werke regelmäßig aus, oft in Gruppenausstellungen mit anderen jugoslawischen Künstlerinnen, und hatte Einzelausstellungen in Lille, Paris, Straßburg, Rom, Belgrad und Zagreb. Im Jahr 2001 organisierte das Museum für zeitgenössische Kunst in Belgrad eine große Retrospektive ihres Werks.
Orshi Drozdik (geboren 1946 in Abda, Ungarn) ist eine bildende Künstlerin, die in New York City lebt und arbeitet. Drozdik war eine der prägenden Figuren der ungarischen Konzeptkunst in den 1970er Jahren und wurde zu einer wichtigen Figur innerhalb der internationalen feministischen Kunstbewegung, die in den 1980er Jahren an Bedeutung gewann. Kritiker haben sie als die erste feministische Künstlerin Ungarns bezeichnet. Ihr Werk ist in Fragen der Geschlechteridentität verwurzelt und versucht, Ungleichheiten zwischen den Erfahrungen von Männern und Frauen aufzuzeigen. Der menschliche Körper ist ein immer wiederkehrendes Motiv in Drozdiks Werk, und sie benutzt oft ihren eigenen Körper als Medium der Performancekunst. Zu den bekanntesten Performances gehört Nude Model (1977), bei der Drozdik ein weibliches Aktmodell in einem Raum zeichnete, der dem Publikum teilweise verborgen blieb, und so die Personifizierung des stereotypen männlichen Blicks übernahm.
Inge Dick (geboren 1941 in Wien) ist eine österreichische Film- und Fotokünstlerin, die sich in ihren Arbeiten vor allem mit dem Thema Licht beschäftigt. Sie arbeitet mit natürlichem Licht, erforscht dessen Komplexität und versucht, seine greifbare Präsenz zu vermitteln. Dick, die im Laufe ihrer Karriere mit verschiedenen Medien gearbeitet hat, ist vor allem für ihre detaillierte und beinahe wissenschaftliche Herangehensweise an das Fotografieren von Licht bekannt, die es ihr ermöglicht hat, winzige Veränderungen der Farbtemperatur über verschiedene Zeiträume hinweg visuell darzustellen. Dicks Innovation im Medium der Fotografie ist weithin anerkannt. 2018 war sie in „Shape of Light“ in der Tate Modern zu sehen, einer großen Überblicksausstellung, die die Entwicklung der Beziehung zwischen Fotografie und abstrakter Kunst untersucht.
Vlasta Delimar (geboren 1956 in Zagreb, Kroatien) begann ihre Karriere Ende der 1970er Jahre, als die post-konzeptualistische Szene in Kroatien und im weiteren Umfeld des ehemaligen Jugoslawien auf ihrem Höhepunkt war. Sie lehnte formale künstlerische Ausbildung und Prinzipien als überholt ab, wählte ihren Körper als primäres Medium und definierte sich als autonome Künstlerin, die weder direkte Vorgänger noch Nachfolger hatte.
In ihren Performances untersucht sie die weibliche Sexualität, hinterfragt deren Freiheit und geht über die Kodifizierung stereotyper Geschlechterrollen und sexueller Tabus hinaus. Ihre Performances, bei denen sie ihren Körper oft mit traditionellen weiblichen Attributen wie Schleiern oder Spitzen verhüllt, regen die Zuschauer dazu an, über die bewussten und unbewussten Rollen nachzudenken, die sie in der Gesellschaft spielen.
Kiki Kogelnik (geboren 1935, Graz, Österreich, gestorben 1997, Wien, Österreich) studierte an der Akademie für Angewandte Kunst und an der Akademie der Bildenden Künste in Wien, bevor sie in den frühen 1960er Jahren nach New York zog. Sie bildete eine Gemeinschaft mit Künstlern wie Jasper Johns, Roy Lichtenstein, Claes Oldenburg und Andy Warhol, was dazu führte, dass sie historisch mit der Pop Art in Verbindung gebracht wurde; Kogelnik entwickelte jedoch ihre eigene Bildsprache, die durch ihre Faszination für die Zukunft der Technologie und Darstellungen des weiblichen Körpers motiviert war.
Heute ist sie vor allem für ihre leuchtenden Farben, ihre flachen geometrischen Kompositionen und ihre Darstellungen der menschlichen Form bekannt. Oft malt sie isolierte technologische Körperteile, die in leuchtenden Farbflächen schweben, oder konzentriert sich auf Darstellungen der weiblichen Figur. Ihre Arbeiten waren Gegenstand institutioneller Ausstellungen, unter anderem in der Kunsthalle Krems und der Österreichischen Galerie Belvedere in Österreich.
Arnulf Rainer (geboren 1929, Baden, Österreich) gilt als Pionier des Informel, einer Bewegung, die eine neue Form des lyrischen Ausdrucks in die Abstraktion einführte. Im Laufe seiner Karriere hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten, so vertrat er Österreich 1980 auf der Biennale in Venedig und hatte eine Professur an der Akademie der Bildenden Künste in Wien inne. Das Museum of Modern Art, das Solomon R. Guggenheim Museum und das Arnulf Rainer Museum in Baden zählen zu den bedeutenden Sammlungen, in denen seine Werke zu sehen sind.
Rainers Werke sind dicht und stark strukturiert, wobei die Abstraktion durch eine langsame Anhäufung von Pinselstrichen erreicht wird. Der Prozess der Entstehung eines jeden Werks ist für ihn etwas Meditatives, vergleichbar mit einer religiösen oder spirituellen Erfahrung; für ihn ist diese Erfahrung genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger als das fertige Werk selbst.
Zsuzsi Ujj (geboren 1959 in Ungarn) lebte und arbeitete in Budapest während einer Zeit der politischen und kulturellen Isolation Ungarns. Als Mitglied der Budapester Underground-Kunstszene in den 1980er Jahren schuf sie Fotografien, Gedichte, Keramiken, Performance-Kunst und Musik, die alle ihre Wurzeln in der ungarischen Neo-Avantgarde der Nachkriegszeit haben, aber auch auf die globale New-Wave-Bewegung zurückgehen.
Ujjs Fotografie ist experimentell, und ihr Umgang mit dem Medium ist oft selbsterkundend. Die Künstlerin nutzt ihren eigenen, oft bemalten Körper, um über weibliche und menschliche Erfahrungen zu meditieren und stereotype Frauenrollen in der Gesellschaft zu kritisieren. Ihr Werk fällt in eine wichtige Übergangszeit, in der sich Ungarn der Welt öffnete, der Kunstmarkt und die Kunstszene jedoch begrenzt blieben. Aufgrund dieser einzigartigen Situation besitzt Ujjs Werk ein Maß an Verletzlichkeit und Authentizität, das man bei Zeitgenossen, die in etablierteren Kunstzentren arbeiten, nicht oft findet.
André Verlon ist das Künstlerpseudonym von Willy Verkauf (geboren 1917, Zürich, gestorben 1994, Wien), einem österreichischen bildenden Künstler, der vor allem für seine experimentellen Collagen bekannt ist. Verkauf gab sich zunächst als Händler aus, verkaufte seine eigenen Werke unter einem Pseudonym und wurde von der Kritik gelobt. Erst als das MOMA 1961 Arbeiten von Verlon in seine Ausstellung „The Art of Assemblage“ aufnahm, begannen sich die Kritiker näher mit Verlon zu beschäftigen und entdeckten seine wahre Identität. Die Collagen zeigen vielfältige Einflüsse, darunter die Papiercollés des Kubismus und die Fotomontagen von John Heartfield. Verlon gilt weithin als Erfinder der Montagemalerei und schuf kraftvolle, experimentelle und politische Collagen.
Der 1910 in Tirol geborene Max Weiler ist eine der herausragenden Persönlichkeiten der österreichischen Malerei des 20. Jahrhunderts. Über 70 Jahre lang setzte er Landschaft und Natur in abstrakten Gemälden und Zeichnungen um, beschäftigte sich aber auch mit Fresken, Mosaiken, keramischen Wand- und Glasmalereien im öffentlichen Raum.
Weiler war Mitglied des „Bund Neuland“, einer Jugendbewegung, die sich der Spiritualität in der Natur widmete. Dies war der Beginn einer lebenslangen Leidenschaft, die er 1930 mit an die Wiener Akademie der bildenden Künste nahm und die er sein Leben lang weiter entwickelte. Ab den 1950er Jahren konzentrierte er sich auf seine einzigartige abstrakte und gestische Chiffre-Sprache, die die Natur und die große Ordnung des Kosmos interpretiert. Weilers Spätwerk zeichnet sich durch intensive Farben und einen dynamischen Pinselstrich aus und entwickelt einen immer symbolischeren Ausdruck der natürlichen Welt.
Wichtige öffentliche Aufträge sind die Apsis der Friedenskirche in Linz-Urfahr (1951), die Schalterhalle des Innsbrucker Hauptbahnhofs (1954/55) und die Wandbilder im Casino Innsbruck (1992/93). Weiler vertrat Österreich 1960 auf der Biennale in Venedig und wurde 1979 mit dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst und 2000 mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen mit Stern der Republik Österreich ausgezeichnet, neben anderen bedeutenden Preisen.